Thursday, April 19, 2018

ARLESHEIM IM 9. JAHRHUNDERT - Artikel im Wochenblatt für das Birseck und Dorneck Nr. 14 vom 4. April 1985


Die Ausstellung „200 Jahre Ermitage in Arlesheim" im Heimatmuseum Trotte hat erneut auf das Buch Wolfram von Eschenbach und die Wirklichkeit des Grals * von Werner Greub aufmerksam gemacht. Wie kommt der Autor dazu, die Arlesheimer Ermitage-Gegend als das zentrale Gralsgebiet "Terre de Salvaesche" aus Wolframs Parzival zu bezeichnen? Und warum gerade das 9. Jahrhundert als historischer Hintergrund? Nun, wer eine erschöpfende   Antwort darauf haben möchte, der möge das Werk Greubs selber zu Rate ziehen. Hier soll lediglich anhand eines Stiches von G.F. Gmelin «Entree de la Solitude romantique d'Arlesheim» (1789) beispielhaft gezeigt werden, wie die Gralstätten in Arlesheim gefunden wurden. Ferner geben wir hier mit freundlicher Genehmigung der Trotte-Kommission einen Text von Robert J. Kelder «Die Ermitage als Gralsgebiet» wieder, der (ohne die Anmerkungen) in der oben genannten Ausstellung aufgestellt wurde.

Entrée de la Solitude romantique d'Arlesheim – Wolframs "Fontane La Salvatsche"

Arlesheim, Ostern 848

An einem eiskalten Karfreitag – nach den Berechnungen Greubs auf Grund der astronomischen Angaben Wolframs in «Parzival» war es am 23. März 848 –  reitet Parzival durch den Wald Brizljân gegen Fontâne la salvâtsche. An diesem Felsentoreingang zum Wald Soltane in Terre de Salvaesche wird er von einem frommen Einsiedler willkommen geheißen. Es ist Trevrizent, der vor dem Felsentor steht. Wolfram sagt hier (P. 458, 26 ff.):

dem wirte wart der zoum verlán.                       
der zóch das ors under stein,                            
dâ selten sunne hin erschein:                             
daz was ein wilder marstal:                               
dá durch gienc eins brunnen val.  

Dem Gastgeber wurde der Zaum überlassen.
Der führte das Pferd unter die Felswand,
wo die Sonne selten hineinschien:
Hier war ein natürlicher Pferdestall.
durchflossen von einem Felsenquell.

Veranlasst durch eine mündliche Äußerung Rudolf Steiners, die Parzival-Trevrizent-Szene in der Ermitage zu suchen, hat Greub nach reichlichem Abwägen aller Gegebenheiten den von Gmelin gestochenen "Haupteingang zur Ermitage» als Wolframs "Fontâne la salvâtsche" identifiziert. Der anscheinend im Mittelalter oder schon früher angelegte und 1789 noch fließende Felsenquell ist links oben im Bild deutlich zu sehen. In diesem «wilden Marstall» scheint tatsächlich die Sonne nur selten: in den drei Wintermonaten gegen Abend. Auch der frühere Name «Solitude» für die Ermitage war für Greub aufschlussreich: Solitude = Soltane. Die Lokalisierung von Fontâne la salvâtsche passte außerdem lückenlos in den Gesamtzusammenhang der Parzival-Handlung. Sigune z.B. wohnt oberhalb des Fontâne la salvâtsche in einer Einsiedlerklause (am Ort der jetzigen Klause des Waldbruders), durch welche der gleiche Wildquell plätscherte (P. 435, 8), der den Felsentoreingang weiter unten durchfloß. Hier unten bindet ja auch Cundrie ihr Maultier fest, wenn sie samstags Sigune das Essen aus der Gralsburg (auf dem Hornichopf) bringt (P. 442,19-20):

immer swenn si kumt,                                      
ihr mûl dort stet,                                               
da der brunne ûzem velse gêt.

Wenn immer sie kommt,
lässt sie ihr Maultier dort stehen,
wo der Brunnen aus dem Felsen geht.

Parzival bleibt über Ostern bei Trevrizent (in der Grabes- und Auferstehungsgrotte an der östlichen Seite des Schlosshügels Birseck) und wird während dieser Zeit von dem frommen Einsiedler in das Mysterium der Menschwerdung Christi und in die Geheimnisse des Grals eingeweiht.

Am 7. April 848 verabschiedet sich Parzival von Trevrizent und reitet wieder in die Welt hinaus.

* Herausgegeben vom Goetheanum im Philosophisch-Anthroposophischen Verlag, Dornach 1974, 482 S.

Die Ermitage als Gralsgebiet

Arlesheim besitzt eine über tausendjährige Mysterientradition. Denn die keltischen Druiden, Odilie und das Iro-schottische Christentum, die Grals- und Artusritter, die Gottesfreunde, Rosenkreuzer und Freimaurer haben alle ihre Spuren in der Ermitage hinterlassen, wie dies ja Hermann Jülich in seinem Büchlein Arlesheim und Odilie beschrieben hat.

Die Bezeichnung "Gralsgebiet" für diese langjährige Mysterientradition Arlesheims wird zum Erlebnis, wenn man mit dem Gralsforscher Rudolf Steiner (1) unter dem "Heiligen Gral" alles dasjenige zu verstehen versucht, was mit der christlichen Erneuerung des seit dem 4. Jahrhundert im Abendland wiederauftauchenden morgenländischen Mysterienwesens zusammenhängt (2). Dann gewinnt auch die Vermutung, dass der römische Kaiser Julianus, Urheber der Wasseranlagen und Felsenaushölungen, zwecks Errichtung einer Mysterienstätte in der Ermitage gewesen ist, an Substanz, denn Julianus, der sich um die Mitte des 4. Jahrhunderts einige Zeit in Kaiseraugst aufgehalten hat, war leidenschaftlich bestrebt, überall die heidnischen Mysterien mit dem sonnenhaften Christentum zu verbinden (3).

Im allgemeinen wird nun angenommen – wenn man überhaupt dem Gralsgeschehen eine irdische Realität zubilligt –, dass das von Wolfram von Eschenbach in seinem Gralsepos Parzival beschriebene Gralsgebiet Terre de Salvaesche sich in den Pyrenäen befindet (Montségur), wo die zentralen Gralsereignisse im 12. Jahrhundert stattgefunden haben sollen (4). Mündlich überlieferte Angaben Rudolf Steiners deuten andererseits in Richtung Arlesheim und das 9. Jahrhundert (5). Da aber keine ausschlaggebenden Dokumente bekannt waren, blieb diese Frage unentschieden.
Seitdem hat sich jedoch diese Lage mit dem Erscheinen des Werkes Wolfram von Eschenbach und die Wirklichkeit des Grals von Werner Greub (6) merklich geändert. Denn mit diesem Forschungsbericht hat Greub aufgrund eines sorgfältigen Vergleichs des Urtextes vom Parzival mit der geographischen Wirklichkeit von Arlesheim, und durch zahlreiche philologische, astronomische und religionsgeschichtliche Betrachtungen versucht nachzuweisen, was von Rudolf Steiner aus der rein anthroposophischen Geistesforschung überliefert worden ist. Und auf dieser Grundlage stellt Greub der interessierten Öffentlichkeit sein Forschungsergebnis zur Diskussion (7):

Die Arlesheimer Ermitage war im 9. Jahrhundert Terre de Salvaesche, das Zentrum der damaligen Gralsereignisse.

Robert J. Kelder

Anmerkungen:

1. Rudolf Steiner hat sein die ganze Anthroposophie in Umrissen enthaltenes Werk Die Geheimwissenschaft in Umriss auch "Wissenschaft vom Gral" genannt.
2. Rudolf Steiner, Die Mysterien des Morgenlandes und des Christentums, Dornach, 1960.
3. Die Vermutung entstammt einem noch nicht veröffentlichten Manuskript von Werner Greub: Vom Gralschristentum zur Anthroposophie Rudolf Steiners. [Update: Erst nach den Tod von Werner Greub im Jahre 1997 veröffentlicht als Vom Parzival zur Rudolf Steiners Gralswissenschaft vom Gral im Jahre 2003 durch dessen Sohn Dr. Markus Greub.]
4. Siehe z.B. Otto Rahn, Kreuzzug gegen den Gral  (1. Auflage 1933). In dem 1984 erschienenen Buch Der Heilige Gral und seine Erben von Lincoln, Baigent und Leigh wird ohne Begründung behauptet (S. 44): "In Wolfram von Eschenbachs Parzival heißt es, dass die Gralsburg in den Pyrenäen gelegen habe und 'Munsalvaesche' genannt worden sei."
5. Ilona Schubert in ihrem Büchlein Selbsterlebtes im Zusammensein mit Rudolf Steiner und Marie Steiner (Basel, 1977) berichtet (S. 73), dass Rudolf Steiner die ganze Gegend der Arlesheimer Ermitage als Gralsgebiet bezeichnet habe, wo auch die "Schulung des Parzival durch Trevrizent stattgefunden hat". Nach Rudolf Steiner gab es mehrere Gralsburgen. Eine weitere Überlieferung Schuberts, wonach R. Steiner sagte, "dass die Gralsburg, wo Titurel und Anfortas den Gral hüteten, in Nordspanien war und später auf dem Montségur in Südostfrankreich", ist allerdings schwer in Einklang zu bringen mit dem Standort der von Wolfram beschriebenen Gralsburg. Denn aus dem ganzen Parzival-Text geht eindeutig hervor, dass sowohl Trevrizent als auch Sigune in unmittelbarer Nähe der Gralsburg wohnten (z.B. «etwa eine Meile», P. 426,13). Wenn man, wie Greub, den Parzival nicht als ein Märchen, sondern als ein wahrheitsgetreues geographisch-historisches Dokument betrachtet, kann also Wolframs Munsalvaesche nicht in Spanien oder Südfrankreich gewesen sein, sondern eben nur hier in Arlesheim. Siehe auch Emil Bock, Rudolf Steiner. Studien zu seinem Lebenswerk, Stuttgart, 1961, und Walter J. Stein, Weltgeschichte im Lichte des Heiligen Gral – Das neunte Jahrhundert, Stuttgart, 1977.

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